Archiv der Kategorie: Texte

Angelikas erste Klasse

Der folgende Brief hat uns sehr berührt. Er stammt von Mamas erster Klasse an der Waldorfschule Karlsruhe, die sie von 1998 bis 2003 ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten durfte.

 Liebe Frau Ludwig-Huber, liebe Angelika, liebe Lu-Hu,

wir sind sehr betroffen und traurig über die Nachricht Deines Todes, wir, Deine Klasse, mit der Du so viel Musik gemacht hast, Freizeiten, Klassenfahrten bis Kroatien und die Du immer wieder zu so vielem motiviertest: Zum Lernen, zum Musizieren, zum Denken, zum Reflektieren über die eigenen Ansichten und Gedanken, das Leben, die Welt. Du hast uns ermutigt, stark und wachsam zu sein, unsere Zukunft zu gestalten, einzustehen für uns und für hohe Ziele wie Freiheit, Fairness und Frieden. Du bist mit uns demonstrieren gegangen, hast als Lehrerin auch mal ein Auge zugdrückt, wenn wir uns „finden“ mussten und hattest einfach immer ein offenes Ohr für unsere Sorgen und Träume. Du warst besonders, als Lehrerin und als Mensch. Du warst rebellisch, herzlich, rücksichtsvoll, vermittelnd und direkt. Unrechtes wurde sofort an- und ausgesprochen und gemeinsam nach einer Lösung gesucht, die alle zufrieden stellte. Vielleicht lernten wir bei Dir deswegen so gern, weil Du immer das lebtest, was Du gelehrt hast. Wir konnte Dir das einfach zu jeder Zeit abnehmen. Du hast uns belehrt, ohne uns den Freiraum zu nehmen, unseren Weg zu gehen. Und dann war da immer wieder die Musik: Jeder konnte mitmachen, spielen, singen, Musikwünsche äußern. Da gab es kein Richtig oder Falsch, sondern nur Deine praktizierte Hingabe, uns Menschenkindern zu vermitteln, dass jeder seine Musik hat, finden und leben kann. Sei es das In Paradiesum von Fauré, Bohemian Rhapsody von Queen, Mozarts Requiem, Beethovens Sinfonien, oder Somewhere over the rainbow von Israel Kamakawiwoʻole: Von den Gregorianischen Chorälen bis zur Minimal Music lehrtest Du uns, die Musik zu lieben und zu achten und vor allem uns darüber auszudrücken. Und Du hast uns ihre magische Wirkung nahe gebracht: Sie trennt nicht sondern sie verbindet, sie wertet nicht sondern wertschätzt, sie verachtet nicht sondern liebt.

So viele Augenblicke haben wir mit Dir erlebt, so viele Augenblicke kommen uns heute in den Sinn, wenn wir um Dich trauern… Konstantin Wecker preist den Augenblick mit diesen Worten:

Jeder Augenblick ist ewig,
wenn du ihn zu nehmen weißt –
ist ein Vers, der unaufhörlich
Leben, Welt und Dasein preist.

Alles wendet sich und endet
und verliert sich in der Zeit.
Nur der Augenblick ist immer.
Gib dich hin und sei bereit!

Wenn du stirbst, stirbt nur dein Werden.
Gönn´ ihm keinen Blick zurück.
In der Zeit muss alles sterben –
aber nichts im Augenblick.

Du musstest sterben, obwohl du bis zuletzt eine Kämpferin geblieben bist und das Leben bejahtest. Du wusstest, dass dein Ende kommt und wolltest auch dann noch Mut machen, an das Leben zu glauben, auch an ein Dasein nach dem Tod. All die vielen Augenblicke mit Dir lassen Dich in wundervollen Erinnerungen ewig weiterleben liebe Lu-Hu – intensiver und wirkungsvoller, als Du dir es vielleicht jemals hättest vorstellen können. So wird dein Wirken weiterleben, in jedem von uns. Wenn wir Augenblicke mit Dir in uns aufleben lassen, sie mit anderen teilen oder reflektieren, lebt Dein wertvoller Impuls fort. Ein aufmerksamer Augen-Blick oder ein Lächeln von Dir über das Dirigierpult, ein aufmunterndes Wort, Dein Lachen oder einfach nur eine stille Geste, all diese Augenblicke prägten unser Leben als Teenager und bis heute. Mit diesen geschenkten Augenblicken bist Du unsterblich geworden und wir tragen weiter, was dir wichtig war. In uns und in die Welt hinaus. In liebevoller Erinnerung und Dankbarkeit, deine Klasse (1998-2003)

Zusammen mit dem wunderschönen Brief hat uns folgendes Portrait erreicht, das von einer Schülerin der Klasse gezeichnet wurde.

Invictus (Unbezwungen)

Nelson Mandela zitierte das Gedicht in den Jahren seiner Gefangenschaft immer wieder, um Kraft und Trost zu finden:

Out of the night that covers me,
Black as the pit from pole to pole,
I thank whatever gods may be
For my unconquerable soul.

In the fell clutch of circumstance
I have not winced nor cried aloud.
Under the bludgeonings of chance
My head is bloody, but unbowed.

Beyond this place of wrath and tears
Looms but the horror of the shade,
And yet the menace of the years
Finds and shall find me unafraid.

It matters not how strait the gate,
How charged with punishments the scroll,
I am the master of my fate:
I am the captain of my soul.

(William Ernest Henley, veröffentlicht im Jahre 1875)

Übersetzung ins Deutsche

Aus finstrer Nacht, die mich umragt,
durch Dunkelheit mein’ Geist ich quäl.
Ich dank, welch Gott es geben mag,
dass unbezwung’n ist meine Seel.

Trotz Pein, die mir das Leben war,
man sah kein Zucken, sah kein Toben.
Des Schicksals Schläg in großer Schar.
Mein Haupt voll Blut, doch stets erhob’n.

Jenseits dies Orts voll Zorn und Tränen,
ragt auf der Alp der Schattenwelt.
Stets finden mich der Welt Hyänen.
Die Furcht an meinem Ich zerschellt.

Egal, wie schmal das Tor, wie groß,
wieviel Bestrafung ich auch zähl.
Ich bin der Meister meines Los’.
Ich bin der Käpt’n meiner Seel.

Übersetzung gefunden auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Invictus_(Gedicht)